"Mehr als die Summe der Teile, das Spiel" könnte Astlibras Unterzeile heißen. Astlibra macht alles und nicht immer alles ganz richtig, aber als ziemlich sicher neben unserer Zeitlinie laufendes Gesamtkonstrukt ist es ein so ungewöhnlicher wie fantastischer Genremixer.
Eigentlich wollte ich diesen Test ja schon letzten Monat fertig haben, aber dann wiederum war dieses Spiel nicht weniger als 15 Jahre in Entwicklung. Was machen ein paar Tage mehr da schon aus. Entwickler Keizo ist mehr oder weniger ein einzelner Mann aus Japan, der bereits im Jahr 2006 mit dem ursprünglichen Astlibra begann. Damals gab es wenig 2D-Spiele, er mochte diese und so nutzte er das wenige an Freizeit, das man als japanischer Angestellter so hat, um sich selbst ein 2D-Game zu basteln. Es gab Pausen und Verzögerungen, aber es war eh nur ein Hobby, warum also sich hetzen. Aufgeben wollte er aber auch nie, das wäre schade um die schon investierte Zeit gewesen, und so stellte er 2022 dann endlich Astlibra fertig. Mittlerweile war das Ganze natürlich ein wenig in die Jahre gekommen und so kam dann nur ein Jahr später das vielleicht schnellste Remaster eines Spiels dazu. Und nach 80 Stunden mit Astlibra Revision kann ich sagen: Danke, Keizo, dass du nie aufgegeben hast.
Metroidvania, J-RPG, Souls, von allem was dabei in Astlibra
Astlibra Revision ist ein relativ wilder Mix aus Metroidvania mit J-RPG, wobei der Erkundungsaspekt frühere Gebiete des ersten zugunsten des Storytellings des zweiten zurückgefahren wurde. Ihr spielt grundsätzlich aus einer klassischen planen 2D-Sicht. Es gibt eine Stadt, die über weite Strecken als Hub dient, aber in die Dungeons springt ihr direkt. Es war wohl zu komplex zig Ausgänge in die Stadt einzubauen und wirklich nötig war es auch nicht. Wenn ihr in einen neuen Dungeon kommt – Lavahöhle, Sumpf, altes Schloss, wildes Zeug später –, müsst ihr diesen abschließen und den Boss besiegen, dann geht es zurück. Relativ früh aber bekommt ihr die Möglichkeit in alte Level zurückzuspringen und sogar einzelne Speicherpunkte anzusteuern.
Das allein ist etwas ungewöhnlich, aber nicht so sehr, wie der Souls-Aufbau des Speichersystems. In jedem Dungeon habt ihr mehrere Speicherpunkte. Sobald ihr einen nutzt, werdet ihr nicht nur geheilt, sondern alle Gegner werden auch zurückgesetzt. Mich würde interessieren, ob Keizo diese Mechanik sich schon 2006 in Anlehnung an From Softwares Frühwerke ausdachte oder später mit der Popularität der Souls dazukam. Egal, heute ist es eine etablierte Geschichte, wenn auch nicht unbedingt bei dieser Art von Spiel.
Wer suchet, der findet...manchmal.
Der Kampf ist dabei zuerst relativ gradlinig: Sprung, Angriff, fertig. Dann kommen schnell neue Moves dazu, ein Dash, ein Doppelsprung, Kombos und vor allem teilweise sehr verschiedene Waffen. Dinge wie Reichweite und Schaden sind relativ klar, aber selten war Schlagfrequenz so wichtig wie hier. Trotzdem wollt ihr jede Waffe und auch Rüstung zumindest eine Weile nutzen, denn darüber schaltet ihr die an die hundert passiven und aktiven Skills frei. Nicht jedoch die Magie-Beschwörungen, von denen es auch noch mal an die 30 gibt. Diese holt ihr euch größtenteils in dem Skilltree, den es auch noch gibt. Und natürlich wird die Magie auch hochgelevelt. Und dann ist da natürlich auch das Crafting. Es gibt so viele Mechaniken und Ebenen in Astlibra, dass einem schwindlig werden kann und man das eine oder andere auch gern mal vergisst. Oder gar nicht erst findet.
Wer sich in den drei Ebenen der Stadt nicht richtig umschaut, wird vielleicht erst nach Stunden oder gar zum Ende hin die Arena finden. Was zunächst wie ein Bonus-Challenge-Level-Ding wirkt, schaltet später zwar zum Beenden nicht komplett essenzielle, aber doch ziemlich lebenswichtige Dinge frei. Der Warp zu Speicherpunkten? Versteckt hinter einem Haus ohne direkten Hinweis. Wer nicht drauf kommt zu suchen, der warpt halt nicht.
Das ist auch eine der Stärken und manchmal auch Schwächen von Astlibra: Es fühlt sich in diesem Punkt oft wie ein From-Software-Spiel an. Es wird nicht alles ausführlich erklärt, es wird nur die Hand gehalten, wo es grundlegend nötig ist. Neue Mechaniken werden kurz sehr grundlegend vorgestellt, aber ganz vieles dreht sich um Entdeckung und Ausprobieren. Astlibra ist gut darin, dass ihr euch dann und wann clever fühlen dürft, wenn ihr wieder mal etwas entdeckt habt, was hilft. Und manchmal dürft ihr auch das Spiel verfluchen, weil wie soll man bitte darauf kommen. Aber es bleibt eigentlich fair. Nur eine einzige Stelle im Spiel fällt da raus und das ist in der Elysium-Welt, an dem Topf. Ihr müsst Pixel-genau stehen. Merkt euch das, ihr werdet wissen, was gemeint ist, wenn ihr so weit seid.
Unmöglich ist nicht, aber Hölle reicht als Schwierigkeitsgrad.
Aber davon abgesehen war es eine elegante Mischung aus hoher Komplexität mit vielen Mechaniken und ausgezeichneter Spielbarkeit. Hier kommt ein wenig mehr das Metroidvania zum Tragen. Initial fühlt sich Astlibra sehr sperrig und langsam an, mit zu viel Buttonmashing bei den Kämpfen. Dann werdet ihr langsam besser, kommt weiter und vor allem kommen immer neue Techniken dazu.Zum Ende hin wirbelt ihr mit dem genau richtigen Gefühl von Überlegenheit, aber auch der Notwendigkeit dafür bei den großen Gegnern, durch die Stages und fühlt euch gut. Dafür müsst ihr dann nicht mal so viele Knöpfe drücken, nur die richtigen in der richtigen Sekunde.
Das kommt wie auch auf normalen Schwierigkeitsgraden fast irrelevant wirkende Mechaniken – die Gegner haben Elementschwächen? Aha. – zum tragen, sobald ihr die hohen Schwierigkeitsgrade auswählt. Nicht „unmöglich“, das ist nur ein brutaler Grind ohne Sinn und Verstand. Aber „Hell“ scheint der beliebteste Schwierigkeitsgrad zu sein und leider verstehe ich erst beim zweiten Durchgang warum. Ihr müsst etwas härter arbeiten, aber dafür lernt ihr zu schätzen, dass die Bosse echte Muster haben und Taktiken erfordern. Ihr könnt dann sogar die verschiedenen Waffen- und Magie-Builds beginnen auszukosten und dass es Sinn macht, dass euch Astlibra fast jederzeit komplett umskillen lässt. Es sind all diese Ebenen und ihre zum allergrößten Teil erstaunlich gelungene Balance, an denen man sehr deutlich merkt, dass sich da jemand länger mit der Entwicklung beschäftigt hat.
Die Story überzeugt, aber Keizo sollte sich mal mehr um sein normales Leben kümmern.
Wie gesagt, es lässt sich schwer festmachen, warum das alles so gut klickt, aber es tut es einfach. Ganz viel scheint wirklich einem jahrelangen Feinschliff geschuldet, bei dem Zeit kein echter Faktor war. Musste ja nicht fertig werden, Keizo hatte ja noch seinen normalen Job. Und ich nehme an, dass sich auch über diesen Zeitraum die erstaunlich tiefgründige und komplexe Story entwickelt hat. Es beginnt simpel genug, Held und Freundin werden im Dorf von Dämonen überfallen, wie das halt so passiert, Held lebt mit sprechender Krähe zehn Jahre im Wald und macht sich dann auf die Suche, wenn er groß und stark ist. Was sich dann entfaltet, ist eine relativ spannende Zeitreise-Saga mit einem brillanten New-Game-Plus.
Zumindest auf eine gewisse Art, ihr werdet es verstehen, wenn ihr da seid. Und wenn ihr da seid, dann wird das ganze Waffen- und Rüstungssystem noch mal auf den Kopf gestellt, denn die letzten Bosse haben es dann so richtig in sich. Ich hatte selten so viel Spaß, ein Spiel gleich noch mal zu spielen. Obwohl, technisch gesehen ist der zweite Durchgang eh die Fortsetzung der Geschichte für das wahre Ende. Wie auch immer, ich spiele nach 80 Stunden immer noch, jetzt auf dem Hell-Level.
Zwei Dinge bleiben noch: Die Technik passt, Astlibra spielt sich flüssig und gut, aber der Look ist eigen. Ich dachte erst, dass es alle irgendwie eingekaufte Assets sind, bevor ich die Hintergrundgeschichte des Spiels kannte. Aber es ist wohl so, dass original Astlibra einen deutlichen Pixel-Look hatte und das Ganze dann für Revision von jemand anders überarbeitet wurde. Das Ergebnis ist ein seltsamer, pseudo-realistischer Stil, an den man sich erst gewöhnen muss. Die Musik dagegen wurde zu einem guten Teil eingekauft, was auch völlig okay für so eine Ein-Mann-Veranstaltung ist. Die Auswahl hätte manchmal etwas subtiler sein können, manche Tracks klingen etwa neben der Spur, anderes wie eine Fan-Hommage an Nier, es ist etwas chaotisch, wenn auch nicht schlecht.
Und zu guter Letzt, denn es muss auf irgendeine Weise angesprochen werden: Es ist, glaube ich, nicht gesund, einen sicher traditionell sehr zeitintensiven Job als Angestellter in Japan zu haben und das bisschen Freizeit, das man hat, dann in sein Gaming-Traumprojekt zu stecken. Zumindest hat Astlibra durchweg seltsam sexuelle Untertöne. NPCs machen ständig Innuendos, in einem Dorf sind sie auf Orgien im Inn aus und die letzten Bosse sind allesamt entweder Riesenmechs oder Göttinnen mit enormen Oberweiten. Ein Kommentar irgendwo fasste die Lage gut zusammen: „Es ist ein fantastisches Spiel, aber warum ist es dauernd so horny?“ Nun, vielleicht ist Keizo ein glücklicher Familienvater mit vier Kindern und einem ausgewogenen Liebesleben. Das, oder er sollte sich nach Astlibra dringend mal um ein paar andere Dinge im Leben kümmern.
Astlibra Revision Test Fazit
Selten fiel es mir so schwer einen Test zu schreiben, der wiedergibt, was ich von einem Spiel halte und wie gut es ist. Ein Blick auf die Screenshots hilft da nicht, der Look ist schon schräg. Die Story klingt erst mal nicht viel. Die Mischung aus Metroidvania und J-RPG ist eigen. Es ist kein durchgehend konsistent gleichartiges und sofort packendes Spiel. Die ersten drei oder vier Stunden war ich überzeugt, dass das hier eine Drei-Sterne-Halbniete sein würde. Aber ich blieb irgendwie dabei und dann ging es schnell. Immer mehr der immer komplexer werdenden Systeme klickten und die Summe der Teile war nicht mehr die Frage.
Der Blick verschob sich auf das große Ganze und als solches ist Astlibra Revision ein sehr ungewöhnliches und spannendes Spiel, das auf eine sehr eigene Art in seinem eigenen Paralleluniversum lebt. Wie die großen Spiele sowieso jagen viele Indies Trends nach, werden in ein paar Jahren und manchmal Monaten aus dem Boden gestampft. Sie können fantastisch in dem sein, was sie tun wollen und machen viel Spaß. Aber selten hat man so sehr den Eindruck, dass hier eine vom restlichen Gaming-Raum und -Zeit losgelöste Idee des idealen Spiels umgesetzt wurde. Das kann komplett danebengehen. Oder uns wie mit Astlibra Revision ein einzigartiges Spiel schenken, von dem man nicht schnell wieder loskommt. Danke, Keizo, die 15 Jahre haben sich für mich gelohnt, ich hoffe für dich auch.